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Wer nicht zahlen kann, muss einsitzen. Selbst für die Ärmsten wählen die Berliner Staatsanwaltschaften bei Geldstrafen nur selten die Minimalhöhe.

Foto: nd/Burkhard Lange

Die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hat im Januar eine beachtenswerte Initiative gestartet. In einer Verfügung empfiehlt sie den rund 500 Staatsanwälten und Amtsanwälten ihrer Behörde, für arme Menschen bei geringen Straftaten eine sozial angemessene Berechnung von Geldstrafen zu beantragen. Konkret sollen Tagessätze in Höhe von fünf statt bisher 15 Euro gefordert werden. Doch Prozessbeobachtungen durch »nd« haben ergeben, dass im vergangenen halben Jahr nur in drei von 30 Fällen die Fünf-Euro-Strafe verhängt wurde.

Koppers Initiative ist gut begründet: Eine Erhebung der JVA Hakenfelde ergab, dass diejenigen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, weil sie die Geldstrafe nicht zahlen oder nicht abarbeiten können, zwischen 60 und 85 Prozent arbeitslos, etwa 38 Prozent wohnungslos und nahezu alle stark verschuldet sind. Bei ihnen werden oft Alkohol- oder Drogensuchtprobleme oder schwere psychische Erkrankungen festgestellt. Sie sind vom Leben überfordert und brauchen Unterstützung. Knast, der ihnen nach einem Strafbefehl oder einer Verurteilung droht, löst keines der Probleme.

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Deshalb sollen die Lebensumstände und die finanziellen Möglichkeiten mehr berücksichtigt werden. Ein Ansatz ist die Reduzierung der Tagessatzhöhe – beispielsweise bei Betroffenen ohne Schonvermögen. Der Tagessatz bei Empfängern von Sozialleistungen wird in Berlin in der Regel pauschal auf 15 Euro festgesetzt. Die Richter verurteilen einen wegen Ladendiebstahls Angeklagten beispielsweise zu einer Strafe von 60 Tagessätzen à 15 Euro, also einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 900 Euro.

Ein Verurteilter kann diese Strafe oft nicht zahlen, weil er nahezu alle seine Einkünfte für Lebensmittel und den tagtäglichen Bedarf benötigt, und muss dann ersatzweise 60 Tage in Haft. Nach einer Gesetzesänderung des Bundestags im Juni muss, wer eine Geldstrafe nicht zahlen kann, demnächst nur noch halb so lange ins Gefängnis. In unserem Beispiel erwarten den Verurteilten nur noch 30 Tage Haft. Trotzdem sei dies weiterhin »eine klare Form der Armutsbestrafung«, kritisiert das Bündnis zur Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe. Tatsächlich führt die finanzielle Überforderung der Verurteilten oftmals zu Resignation und damit zum Absitzen der Ersatzfreiheitsstrafe.

Ein halbes Jahr ist nun seit Koppers sogenannter Generalienverfügung vergangen. Sie ist unter dem neuen schwarz-roten Senat weiter gültig. In einer ab Februar erfolgten Prozessbeobachtung durch »nd« von über 30 einschlägigen Gerichtsverfahren mit Urteil gegen Mittellose und Sozialleistungsempfänger, die wegen Ladendiebstahls oder ÖPNV-Fahren ohne Fahrschein angeklagt wurden, gab es lediglich drei Fälle, in denen die Amtsanwaltschaft in ihrem Plädoyer einen Tagessatz von fünf Euro beantragt hat. In allen drei Fällen hat sich diese Tagessatzhöhe auch im Urteil niedergeschlagen. Einer der drei Angeklagten ist ein drogenabhängiger Berufsschüler, der bei seinen Eltern wohnt und keinerlei Einnahmen hat, ein anderer ist hoch verschuldet und der Dritte hat einen Rechtsanwalt, der sich engagiert für seinen Mandaten eingesetzt hat.

Eine angesprochene Amtsanwältin bestätigte, dass die Verfügung »herumging«, aber es sei ja nur eine Soll-Vorschrift an die Staatsanwälte, die unabhängig seien. Wie sie sich erkläre, warum Amtsanwälte nur selten die empfohlenen fünf Euro Tagessatz beantragen? »Da sieht man vielleicht, was die Amtsanwälte von der Anweisung halten.« Außerdem würden sich die Richter ohnehin nicht daran halten, wenn die Amtsanwaltschaft eine Tagessatzhöhe von fünf Euro forderte. Diese Einschätzung der Amtsanwältin lässt sich nach der Prozessbeobachtung jedoch nicht bestätigen, im Gegenteil: Ein entsprechendes Plädoyer der Amtsanwälte kann offensichtlich Einfluss auf das Urteil der Richter haben – ohne damit in die richterliche Unabhängigkeit einzugreifen.

Es gebe durchaus Staats- und Amtsanwälte, die der Empfehlung folgen und in geeigneten Fällen eine Tagessatzhöhe von fünf Euro beantragen, heißt es aus der Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf nd-Nachfrage. Erfahrungen aus der Umsetzung und wie beispielsweise Richter darauf reagieren, seien allerdings nicht bekannt und aufgrund der Vielzahl der Verfahren zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zuverlässig zu evaluieren, so Pressesprecher Sebastian Büchner. Außerdem verweist er darauf, dass es auch noch etwas Zeit brauchen könne, bis sich der empfohlene Modus durchsetzt, denn »spontane Änderungen jahrelanger Praxis sind jedenfalls in der Justiz eher ungewöhnlich«.

Etwa 14 000 Personen konnten in Berlin in den vergangenen fünf Jahren die verhängten Geldstrafen nicht bezahlen und saßen deshalb ihre Ersatzfreiheitsstrafe ab. Wenn es mit Koppers Initiative gelänge, die Ersatzfreiheitsstrafe zu vermeiden, würde das Land mehrere Millionen Euro sparen, weil für jeden Hafttag die Landeskasse aufkommen muss. Im Jahr 2021 kostete ein Hafttag 226 Euro pro Gefangenen.

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